Zum Seiteninhalt springen

„Die Muster im Kopf, dass Frauen nicht ernst genommen werden, müssen verschwinden!“

Annemarie Mulder ist seit 2021 bei VINCI Construction in Deutschland. Zunächst hat sie Großprojekte entwickelt und geleitet. Seit Januar ist sie bei uns stellvertretende Allianzmanagerin des europäischen Schlüsselprojekts „Schienenanbindung der Festen Fehmarnbeltquerung“ (Deutsche Bahn). Im Interview spricht sie über den Aufbau des FrauenNetzwerk-Bau und wie sich die Chancen von Frauen in der Baubranche verbessern können.

  • Karriere
  • Soziales

Liebe Annemarie, am 8. März hat der Hauptverband der Bauindustrie das FrauenNetzwerk-Bau ins Leben gerufen. Du hattest im Vorfeld viel zu dieser Initiative beigetragen. Wie kam es dazu?

In meiner Berufslaufbahn hatte ich immer mal wieder erlebt, dass Frauen in der Baubranche und anderen Industrien gekündigt haben, weil sie sich nicht mehr wohlfühlten. Ich habe die Frauen dann gefragt, warum sie gehen. Oft war da die Antwort: „Ich bin frustriert, weil meine Meinung nicht wahrgenommen wird.“ Das fand ich sehr schade. Wir suchen doch händeringend nach Fachkräften – warum sorgen wir dann nicht dafür, dass sich diese Personen – egal, ob Mann oder Frau – gehört werden, sich wohlfühlen und ihr Frust verschwindet?

Wie ging es dann weiter?

Zunächst einmal habe ich in unserer Organisation geschaut, was es bereits für Initiativen und Netzwerke gibt. Da bin ich auf „Connect her“ von VINCI in Frankreich gestoßen und habe gesehen, dass es dort dieses Format gibt, wo man genau solche Fragen diskutiert. Mein Gedanke war, dass wir das auch in Deutschland haben sollten. Also bin ich zu unserem Geschäftsführer Tim Lorenz gegangen und habe ihm von meinem Vorhaben erzählt. Er fand das gut und hat angeregt, dass man das direkt auch beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, wo er Vizepräsident ist, initiieren sollte. Und so kam der Stein ins Rollen. Konrad-Köthke-Toussaint hat das Thema beim Verband vorangetrieben, ich bei VINCI Construction in Deutschland – zusammen mit einer Kollegin und einem Kollegen.

Wie seid ihr das Frauennetzwerk bei VINCI Construction Deutschland zum Start angegangen?

Der Kerngedanke war, etwas aufzubauen, bei dem sich Frauen untereinander austauschen und miteinander vernetzen können. Zu Beginn haben wir viel Grundsätzliches diskutiert. Mit all diesen Fragen und Themen wollten wir erst einmal Problemfelder identifizieren und ein gewisses Basiswissen schaffen.  Dazu haben wir Workshops gemacht – zum Beispiel ein Active-Bystander-Training, bei dem wir gelernt haben, wie man inakzeptables Verhalten am Arbeitsplatz adressieren kann. Oder wie gehen wir mit unterschiedlichen Gehältern um? Welche Möglichkeiten habe ich, besser zu verhandeln, oder worauf habe ich etwa gesetzlichen Anspruch? Zu wenige Frauen kennen etwa das Entgelttransparenzgesetz mit dem sie auch Ansprüche geltend machen können. Auch haben wir die persönliche Schutzausrüstung für Frauen thematisiert: Arbeitshosen und -Jacken speziell für Frauen. Zurzeit laufen die Probeversuche.

Wie ist denn der aktuelle Stand bei dem Fraunnetzwerk von VINCI Construction Deutschland? Was ist für die Zukunft geplant?

Nach zwei Jahren mit intensivem Austausch freue ich mich, dass wir nun den nächsten Schritt gehen und unser Frauennetzwerk bei VINCI Construction in Deutschland bei der Personalabteilung integrieren werden. Dort wird gerade an einem Schulungsangebot gearbeitet, das sich an Frauen in verschiedenen Positionen richten wird. Nun hat es seinen festen Platz im Konzern und kann so zielführender vorangetrieben werden.

Was für Probleme siehst du aktuell noch für Frauen in der Bauindustrie?

Frauen in Leitungs- und Führungspositionen gehen häufig am Limit. Sie werden weniger ernst genommen und müssen sich beweisen. Sie müssen wesentlich mehr leisten, um von Männern akzeptiert zu werden. Sie müssen besser sein als der Durchschnitt. Das ist in zu vielen Fällen der Fall, nicht nur in der Bauindustrie, und es entsteht ein großer Druck. Hier muss noch viel passieren – sowohl in den Köpfen der Männer als auch in den Köpfen der Frauen. Die Muster im Kopf, dass Frauen nicht ernst genommen werden, müssen verschwinden! Gleichzeitig müssen Frauen ihre Rechte begreifen und verstehen, dass sie delegieren dürfen und das auch sollen!

Was rätst du jungen Frauen, die in der Baubranche Karriere machen wollen?

Seid selbstbewusst und lasst euch nicht einreden, dass ihr weniger könnt als ein Mann!  Als ich einmal gefragt wurde, ob ich eine Projektleitungsposition übernehmen möchte, sagte ich meinem Chef direkt und 

voll überzeugt: „Ich will Chefin werden!“ Er fand das sogar gut, was unser Vertrauen zueinander gestärkt hat. Außerdem hilft es generell im Leben, wenn man seinen Humor beibehält und mit Freude und Spaß Dinge anpackt. Gleichzeitig sollte man auch ansprechen, wenn einem etwas nicht gefällt oder unangenehm ist. Diese Balance ist eine Kunst, die viele von uns lernen müssen. 

Liebe Annemarie, vielen Dank für das Gespräch!  

Alle News